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Das Streben nach Glücklichsein macht unglücklich

Lesedauer: 3 Minuten

„Das wichtigste Ziel im Leben ist doch, glücklich zu sein“, meinte neulich ein Bekannter zu mir. Das sei doch letztendlich das, wonach alle streben. Kurze Zeit später fanden wir uns in einer interessanten philosophischen Diskussion wieder: Ist das Streben nach permanentem Glücklichsein nicht genau das, was uns so oft unglücklich macht? Da man ja die ganze Zeit mit dem Streben nach Glücklichsein beschäftigt ist und nicht mit Glücklichsein.
Wenn das wichtigste Ziel ist, glücklich zu sein, ist Enttäuschung schon vorprogrammiert. Denn immer glücklich zu sein, ist gar nicht möglich und ich würde sogar behaupten, gar nicht erstrebenswert.

Ich bezeichne mich als glücklichen Menschen. Doch wenn ich mir einen normalen Tag anschaue, bin ich den kleinsten Teil der Zeit glücklich. Einen großen Teil des Tages bin ich konzentriert auf die Dinge, die ich mir vorgenommen habe. Dabei fühle ich wenig. Wenn etwas nicht so läuft, wie ich es mir vorgestellt habe, bin ich genervt oder manchmal auch wütend. Manchmal bin ich total begeistert über erreichte Ergebnisse, manchmal einfach müde, manchmal mache ich mir Sorgen, bin frustriert oder manchmal sogar resigniert. Manchmal bin ich inspiriert und aufgeregt bis hin zu euphorisch über neue Ideen oder Menschen. Das Paradoxe ist: In dem Moment, in dem ich für eine Sache gehe, die mir wichtiger ist, als glücklich zu sein, bin ich am glücklichsten. Wenn man eine Absicht hat, die über Glücklichsein hinausgeht, nimmt man alle Gefühle, die man auf dem Weg dorthin hat, eher in Kauf oder man bekommt sie gar nicht mit. Das heißt im Umkehrschluss natürlich nicht, dass alle Menschen, die für eine Sache gehen, automatisch glücklicher sind, nur sind ihnen ihre Gefühle nicht mehr das Wichtigste.

Am Ende eines Tages war ich zwar nicht die ganze Zeit glücklich, aber erfüllt. Erfüllt von allen möglichen Erfahrungen, Zuständen und Gefühlen. Und gehören nicht alle Gefühle zum Leben dazu? Warum das Leben auf ein Gefühl beschneiden? Das stelle ich mir unglaublich langweilig vor. Man könnte außerdem das Glück gar nicht mehr wahrnehmen, da es keine Unterschiede mehr gibt. Man kann Helligkeit nur vor dem Hintergrund der Dunkelheit wahrnehmen und Glücksgefühle nur vor dem Hintergrund aller anderen Gefühle.

Der Anspruch, immer glücklich sein zu müssen, ist unerfüllbar und lässt uns zu Glücksjunkies werden, die immer schneller eine immer größere Glücksdosis brauchen. Es ist nur natürlich, negative Zustände zu erleben. Das heißt natürlich nicht, dass ich die negativen Zustände nicht gering und vor allem kurz halte, aber das Interessante ist, im selben Moment, in dem es auch ok ist, traurig zu sein, bin ich schon weniger traurig. Vergleichbar mit einer Party, auf der nicht meine Musik gespielt wird. Entweder ich rege mich über den unfähigen DJ auf oder ich tanze einfach. Dann ist die Musik zwar immer noch scheiße, aber: Ich tanze.

Vor einiger Zeit hat mir mein Bruder den Film: „Hectors Reise und die Suche nach dem Glück“ empfohlen. Als Metapher für Glücklichsein wird hier eine Wimpelkette herangezogen. Jeder Wimpel steht für ein Gefühl und erst die bunte Vielfalt macht die Schönheit aus. Wer die Choriner Straße in Berlin kennt, in der ich mal gewohnt habe, weiß, dass dort Wimpelbänder über die Straße hängen. Sie erinnerten mich jeden Tag daran, dass alle Erfahrungen, Zustände und Gefühle Teil der Erfüllung sind und die Schönheit des Lebens ausmachen. Ich war und bin zwar nicht immer glücklich, aber immer erfüllt.

© Anna Craemer

Photo: Tanja Roos Nectar & Pulse

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